Das Bild der Parteien in der Öffentlichkeit ist heutzutage denkbar schlecht. Parteien rangieren ganz unten auf der Beliebtheitsskala - noch weit hinter Gewerkschaften und Kirchen. Parteipolitiker seien bestenfalls der verlängerte Arm von Interessenverbänden. Schlimmstenfalls seien sie korrupt, gierig und machtverliebt.
Regelmäßig können Anti-Parteien-Neugründungen einen signifikanten Anteil von Protestwählern bei Wahlen für sich gewinnen. Eine Allianz aus Experten, Kommentatoren und Bürgerinitiativen schickt sich an, den Parteien ihren Platz im demokratischen Gefüge streitig zu machen. Warum sollte also heutzutage ein politisch denkender Mensch Mitglied einer Partei werden?
Interessanterweise sind jedoch alle Anti-Parteien-Neugründungen der letzten Jahrzehnte gescheitert. Einzig die Grünen haben überlebt. Allerdings gehört die Partei Bündnis90/Die Grünen heute selbst zum Spektrum der etablierten Parteien. Jenseits der antielitären Rhetorik und der Protestfolklore sind sie nach der Regierungsbeteiligung in mehreren Bundesländern und im Bund – inklusive mehrerer Affären – eine ganz normale Partei geworden. Allenfalls die moralische Überheblichkeit der Gründerjahre ist geblieben. Bisher hat es auch keine Bürgerinitiative geschafft, über ihr Gründungsthema hinaus dauerhaft gesellschaftliche Mehrheiten zu erringen. Brauchen wir vielleicht doch Parteien als Triebfedern unserer Demokratie?
Das Wort „Partei“ stammt vom lateinischen Wortstamm „pars, partis“ ab und bedeutet soviel wie Teil und Richtung. Wortimmanent decken also die Parteien einen Teil des Ganzen ab und geben eine Richtung vor. In einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft wird es bei allen relevanten Themen immer Meinungsunterschiede geben. Die Existenz mehrerer Parteien ist die logische Folge der verfassungsmäßigen Meinungsfreiheit. Den einheitlichen Volkswillen gibt es nicht. Die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidet sich im Wettstreit der Ideen. Niemand wird zu 100 Prozent mit den Positionen und Konzepten einer Partei übereinstimmen können. Das ist auch nicht notwendig. Für das friedliche Zusammenleben von fast 82 Millionen Menschen in Deutschland sind aber eine Bündelung von Interessen und eine geregelte Kompromissfindung überlebenswichtig. Bürgerinitiativen scheitern regelmäßig an dieser Aufgabe, wenn es um mehr als Einzelthemen geht. Die Parteien erfüllen außerdem die wichtige Aufgabe, unsere politischen Eliten zu finden und an die Spielregeln der Demokratie heranzuführen. Sie geben Erfahrungen und Werte weiter, die für unsere Demokratie wichtig sind. Schließlich bilden sie das wichtige Bindeglied zwischen den Regierenden und den Regierten.
Die Herausforderungen unserer Parteiendemokratie liegen klar auf der Hand. Das Erarbeiten klarer Alternativen erfolgt immer im Spannungsfeld zwischen dem opportunistischen Schielen auf Mehrheiten und der intellektuellen Bankrotterklärung der Fundamentalopposition. Das Herausarbeiten von Gegensätzen und Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien ist dabei für das Finden gesellschaftlicher Mehrheiten essentiell. Die Offenheit gegenüber neuen Ideen ist genauso wichtig wie das Festhalten an Grundüberzeugungen. Die Parteien müssen sich selbstbewusst von Bürgerinitiativen und Interessenverbänden abgrenzen. Letztere können es sich erlauben, monothematisch für Maximalforderungen einzutreten. Die Parteien müssen immer den Zusammenhalt der Gesellschaft bedenken. Die größte Herausforderung besteht heutzutage im Kommunikationsfluss zwischen Regierten und Regierenden. Der direkte Dialog über moderne Kommunikationsmittel jenseits der professionellen Berichterstatter und Kommentatoren muss an Bedeutung gewinnen. Die Beobachtung von Politik durch die Presse kann nicht die Erläuterung der Politik durch die handelnden Akteure ersetzen. Auch die beste Politik muss den Menschen vor Ort erklärt werden. Dafür ist eine organisatorische Struktur im Hintergrund notwendig. Die Komplexität unserer modernen Gesellschaft erfordert eine vielfältige und lebendige Parteienlandschaft.