In Umfragen wird regelmäßig das Vertrauen in die Repräsentanten und Institutionen unseres politischen Systems in Frage gestellt. Den Parteien und den Parlamenten wird immer weniger zugetraut, die aktuellen Probleme der Bürger zu lösen. Die Entscheidungsabläufe sind unübersichtlich. Die Verantwortlichkeiten sind verwirrend. Die Kommunikation zwischen Bürger und Politik ist gestört.
Die Grundzüge unserer deutschen Demokratie stammen aus dem 19. Jahrhundert. Nach dem Ende des Naziterrors standen die Fragen von Leben und Tod im Mittelpunkt. Für eine grundlegende Debatte über eine Fortentwicklung der deutschen Demokratie blieb keine Zeit. Deshalb griffen die Verfassungsmütter und –väter auf die Traditionen des 19. Jahrhunderts zurück. Auch zur Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands blieb in außenpolitisch unruhigen Zeiten kein Raum für grundlegende Reformen. So wird am Beginn des 21. Jahrhunderts das hochkomplexe Staatswesen Deutschlands durch Mechanismen des 19. Jahrhunderts regiert und verwaltet. Kein Staatsrechtler und Verfassungsjurist im 19. Jahrhundert konnte sich aber die Errungenschaften der globalisierten Welt im 21. Jahrhundert vorstellen. Erdacht und entwickelt im frühkapitalistischen Deutschland der Dampfmaschinen und Telegrafen muss unser politisches System mit den Herausforderungen in Zeiten des Internets zurechtkommen.
Die digitale Revolution hat mittlerweile die Lebenswelten der Menschen radikal verändert. Die Erfindung des Internet ist allenfalls mit der Entwicklung des Buchdrucks oder der Entdeckung der Neuen Welt vergleichbar. Beide Ereignisse haben die Welt des ausgehenden Mittelalters in ihren Grundfesten erschüttert. Ja, das Internet ist - in historischen Dimensionen betrachtet - wirklich Neuland! Der Zugang zu Bildung und Wissen beschränkte sich vor 150 Jahren auf eine kleine Schicht, die an Universitäten studieren und in fremde Länder reisen konnte. Heute kann jeder Internetnutzer in Sekundenschnelle das Wissen der gesamten Menschheit von jedem Ort der Welt aus abrufen. Noch nie in der Menschheitsgeschichte war der Zugang zu Informationen so leicht. Wie muss sich unsere repräsentative Demokratie verändern?
Erst langsam finden die modernen Kommunikationsmittel Eingang in die politischen Entscheidungsabläufe. Wir brauchen eine große Transparenz der politischen Prozesse. Wir brauchen eine klare Verteilung der politischen Verantwortung. Der Wähler muss jederzeit nachvollziehen können, was er mit seiner Stimme beeinflusst. Wir brauchen eine konsequente Umsetzung des Prinzips der größtmöglichen Eigenverantwortung. Wenn es nicht notwendig ist, dass eine übergeordnete Gliederung ein Problem löst, dann ist es notwendig, dass die untergeordnete Gliederung das Problem löst. Die Probleme müssen immer in größtmöglicher Nähe zum Bürger gelöst werden. Die meisten Alltagsprobleme der Bürger können vor Ort in den Kommunen und Gemeinden gelöst werden. Und genau hier ist es auch sinnvoll, über mehr direkte Demokratie die Bürger an den Entscheidungen zu beteiligen. Internetabstimmungen vor Ort über lokale Probleme erhöhen auch die Akzeptanz für das politische System im Allgemeinen.
Auch die Parteien müssen sich modernen Formen der Mehrheitsbildung über Internet stärker öffnen. Die Offenlegung von Informationen durch Bundesbehörden oder Parlamente im Internet steht erst am Anfang. Bürgerentscheide auf nationaler oder europäischer Ebene machen hingegen nur Sinn, wenn gesellschaftliche Grundsatzfragen mit wenigen klar abgrenzbaren Alternativen betroffen sind. Die politischen Repräsentanten müssen durch ein Wahlsystem gestärkt werden, das ihnen einen klar begrenzen Aufgabenbereich auf Zeit mit entsprechender Machtfülle zuweist. Das Gestrüpp von Verantwortlichkeiten im föderalen Zuständigkeitswirrwarr schadet dem deutschen Parlamentarismus. Eine grundlegende Modernisierung unserer politischen Verfasstheit auf Grundlage der repräsentativen Demokratie westlicher Prägung unter Zuhilfenahme der modernen Kommunikationstechnologien ist angebracht.